Das Weberdorf Roetgen

Weberei in allen Räumen

Detlef Stender

"Es fing das Wollspinnen an, und am Ende kam es soweit, dass fast alle Mannspersonen und Frauenzimmer, Junge und Alte, Wolle spannen, sogar kleine Kinder von 4 bis 5 Jahren wussten schon, wie viel sie täglich zu spinnen hatten. Man hörte vom frühen Morgen bis späten Abend fast nichts anders als das Surren der Spulräder."

So wird Roetgen, auf dem Weg von Monschau nach Aachen gelegen, um 1800 beschrieben. Hier wurde zum Teil im Neben-, zum Teil im Haupterwerb für die Verlage in Monschau und Eupen in Heimarbeit gewebt. 1799 arbeiteten 20 Weber und über 100 Wollspinner im Ort.

Neben der Heimweberei wurden Anfang des 19. Jahrhunderts auch einige kleinere Tuchmanufakturen mit Handwebstühlen gegründet, die sich in erster Linie auf Kasimir spezialisierten, einen preiswerten halbwollenen Hosen- und Anzugsstoff mit Baumwollkette und Streichgarn- oder Reisswollschuss. Die Firma Forell im Postweg beschäftigte 24 Arbeiter und verfügte über 10 eigene Webstühle, eine Rauerei sowie eine Schererei. Sie arbeitete in einem stattlichen, barocken Gebäude, das sich ehemals ein Spediteur als Wohn- und Geschäftshaus hatte errichten lassen. Die Tuchfabrik Forell fertigte neben Kasimir auch Drapzephir, einen Baumwollstoff für Oberhemden, Blusen und Kleider, und Circassienne, ein fast kaschmirartiges Wollgewebe.

Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts setzte mit Mechanisierung der Weberei eine Krise für die Handweberei in den Häusern der Heimarbeiter und in den kleinen Fabriken ein. In den 1880er Jahren hatte die Weberei in Roetgen ein vorläufiges Ende gefunden. Offenbar lohnte sich in Roetgen, das erst 1885 einen Nebenanschluss der Bahn erhielt, die Einrichtung einer modernen Weberei nicht. Die Weber mussten sich daher in großen Aachener Tuchfabriken um Arbeit bemühen. Bevor die Bahnverbindung kam, nahmen sie sich entweder mit mehreren Kollegen über die Woche in Aachen eine Bude oder schliefen in den Fabrikhallen auf den Tuchballen und kehrten nur am Wochenende zu ihren Familien zurück. Am Montagmorgen machten sie sich um vier Uhr morgens auf den Fußweg, um um sieben Uhr pünktlich in Aachen zu sein. Etwa 20% der arbeitsfähigen Bevölkerung pendelte also nach Aachen.

Anfang des 20. Jahrhunderts, in einen guten Konjunkturphase, ergriffen einige Roetgener Weber selbst die Initiative und machten der verhassten und teuren Pendelei ein Ende. Sie gründeten 1906 die "Genossenschaftsweberei Rosental", deren nicht ganz kleine Fabrikhalle noch heute in der Talstraße, allerdings in der Funktion eines Supermarktes, Bestand hat. 31 Personen traten der Genossenschaft bei, die hauptsächlich Lohnweberei für große Aachener Tuchfabriken übernahm. Man lieferte also das gewebte Tuch wieder nach Aachen, wo die abschließende Stopferei und Appretur erledigt wurde.1909 arbeitete die Genossenschaft schon mit 41 Webstühlen. Der Betrieb wurde in der Nachkriegszeit von der Firma Laurent Schröder übernommen und bis 1966 fortgeführt.

Ungefähr zur selben Zeit, 1905, wurde unter der tatkräftigen Führung des Webstuhlmeister Aloys Reinartz die "Mechanische Weberei Roetgen" ebenfalls als Genossenschaft gegründet. Ein waghalsiges und teures Unternehmen, das aber Unterstützung von allen Seiten fand und auch Erfolg hatte. Auch hier finden wir weitläufige Shedhallen unmittelbar verbunden mit einem sachlichen Kopfbau, in dem vermutlich die Verwaltung ansässig war.

Angeregt durch die genossenschaftlichen Aktionen begannen in den 1920er Jahren sogar einzelne Weber wieder mit der Hausweberei im Lohnauftrag Aachener Fabriken. Möglich war dies, weil Roetgen nun an das elektrische Leitungsnetz angeschlossen war und dadurch der Betrieb von mechanischen Webstühlen mit elektrischem Einzelantrieb möglich wurde. In den 20er und 30er Jahren arbeiten insgesamt 16 private Kleinstwebereien mit bis zu vier Webstühlen. Sogar in der Nachkriegszeit wurden noch private Kleinwebereien gegründet, von die letzte bis 1970 arbeitete.

Lage:
Roetgen liegt zwischen Monschau und Aachen an der B 253.
Adressen:
Tuchfabrik Forell
Postweg 10
zweigt von der Bundesstraße knapp südlich des Bahnübergangs und gegenüber der Rosentalstraße ab.

Genossenschaftweberei Rosental
in der Rosentalstraße 38 (heute Supermarkt)
Das ehemalige Verwaltungsgebäude ist in der von der Rosentalstraße abzeigenden Rommelstraße zu finden (Nr. 9).

Mechanische Weberei Roetgen
Rommelstraße (s.o.) 7
der Kopfbau ist heute ein Architektenbüro

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